Mein liebes jüngeres Tango-Selbst,
gern denke ich daran zurück, als ich in Deinem Alter war. Die Tangowelt schien so aufregend, so neu für mich, jeden Tag entdeckte ich ein neues Land oder zumindest eine neue Landschaft, die mich begeisterte. Doch ich erinnere mich ebensogut an, Frust und Traurigkeit sowie nagende Unzufriedenheit. Und ich muss Dir sagen, beides hört nicht auf, doch es verändert sich. Deshalb würde ich Dir gern 10 Botschaften für Deinen Tangoweg mitgeben.
1. Bleib dran: Tanzen macht Spaß, auch schon am Anfang. Doch Tango ist eine Leidenschaft, und da steckt eben auch das Wort Leiden drin. Die Hochs überwiegen zwar die Tiefs in Qualität, die Tiefs die Hochs aber oft in Quantität: Tänze, in denen gar nichts ging. Milongas, auf denen keiner und zwar wirklich keiner mich aufforderte. Tandas, in denen ich mitten auf der Tanzfläche stehengelassen wurde. Verheerendes Feedback von Tanzpartnern oder Tanzlehrer*innen, potenzielle Tanzpartner, die auf Milongas einfach durch mich hindurchschauten, Unsicherheit, Nicht-Wissen, Nicht-Verstehen – aller Anfang ist schwer. Viele meiner Weggefährt*innen haben die Flinte ins Korn geworfen haben, und ich kann sie verstehen. Bleib‘ dran. Es lohnt sich.
2. Take it easy and enjoy, enjoy, enjoy: Liebes jüngeres Tango-Selbst, genieße jede Phase des Tangolebens in vollen Zügen, statt Dich ständig in die Zukunft zu wünschen und auf Biegen und Brechen schon weiter sein zu wollen, besser sein zu wollen, an bessere Tanzpartner kommen zu wollen und und und… einfach mal tief durchatmen. Gut Ding will Weile haben und das ist okay. Suche Dir am besten Tango-Gesellschaft, die den Genuss unterstützt und ihn Dir nicht madig macht. Denn irgendwann wirst Du Dich sehnsuchtsvoll an diese Anfangs-Zauberzeit erinnern. Und eines ist gewiss: Sie kommt niemals wieder zurück.
3. Choose your teachers wisely: Frage Dich bewusst, mit wem Du warum Unterricht nehmen möchtest und was Du dabei konkret lernen möchtest. Den eigenen Lernprozess selbst zu steuern, ist zwar herausfordernd, aber auch befriedigend. Neben den Rahmenbedingungen, die nicht unwesentlich sind (u.a. Zeiten, Preise, Ort), finde ich vor allem folgende Fragen bei der Lehrersuche hilfreich: Bekomme ich im Unterricht das richtige Maß an Freude, Motivation und Korrektur? Habe ich das Gefühl, dass ich durch den Unterricht tänzerisch vorankomme? Erhalte ich individuelles Feedback von meinen Lehrer*innen?
Da gute Tänzer*innen nicht gleichzeitig unbedingt gute Lehrer*innen sind, finde ich auch eine gute Frage: Wenn ich die fortgeschrittenen Schüler*innen meiner Lehrer*innen sehe, möchte ich so tanzen wie sie (aus meiner Sicht sind diese die Referenz, nicht die Lehrer*innen selbst, denn die haben ja nicht bei sich selbst gelernt)? …und natürlich musst Du nicht ewig bei einer*m Lehrer*in bleiben, irgendwann zu wechseln und andere Lernimpulse hinzuzunehmen, ist auf jeden Fall sinnvoll – wildes Lehrer*innen- und Schulenhopping dagegen aus meiner Sicht nicht.
4. Es muss nicht immer Gruppen-Paarunterricht sein: Gruppen-Unterricht im Paar ist nett – gerade wenn Du einen Partner hast, mit dem Du Dich gut verstehst. Am Anfang macht dieser Unterricht auch für Folgende absolut Sinn. Denn er vermittelt ein Grundgefühl für den Tango, das Paar und die Bewegungen. Und wenn sich das so eingeschliffen hat, ist es bequem, einfach dabei zu bleiben. So bin ich, als ich noch so jung war wie Du, Woche um Woche (meist mehrfach) dorthin gewackelt, habe meine Runden gedreht, einfach weil es so nett war. Wirklich zielführend war es allerdings irgendwann nicht mehr. Aus heutiger Sicht würde ich stattdessen schon früher damit beginnen, ab und an eine Einzelstunde bei einer*m Lehrer*in meiner Wahl zu nehmen und parallel dazu mit einem Tanzpartner oder allein auf eigene Faust zu üben. Außerdem halte ich Technikstunden für ein absolutes Muss.
Allerdings hängt der „richtige“ Weg zu lernen natürlich auch davon ab, was Du erreichen möchtest und wo Dein Fokus liegt.
5. Führen – Folgen: Aus heutiger Sicht würde ich früher mit dem Erlernen beider Rollen beginnen. Nicht nur, dass das den Tanz und die Tanzerfahrung bereichert, es potenziert auch die Tanzmöglichkeiten auf jeder Milonga unglaublich und reduziert damit Frust-Abende. Führend macht dann der Paar-Gruppenunterricht auch plötzlich wieder mehr Sinn.
6. Choose your partners wisely: Mindestens genauso wichtig wie die Lehrer*innen sind die Partner*innen. Insbesondere wenn man intensiv zusammen übt und/oder zum Unterricht geht. Nur aus Höflichkeit, Nicht-Verletzen-Wollen oder in Ermangelung an Alternativen lange mit jemandem weiterzumachen, mit dem Du Dich nicht wohlfühlst oder mit dem Du einfach nicht vorankommst, macht keinen Sinn. Der*die richtige Partner*in fliegt einem selten zu, Du musst ihn*sie aktiv suchen. Übrigens, wie der nächste Punkt zeigt, auch für Milongas gilt: Wähle deine Partner weise.
7. Was nicht okay ist, ist nicht okay. Punkt. Tango-Erfahrung hin, Tango-Erfahrung her. Das hat nichts mit Tango zu tun, sondern mit Anstand. Verrutschte Hände, Beine im Schritt (egal, wer bei wem), Becken an Becken. Zwar kann sich schon die „normale“ Nähe im Tango am Anfang ein bisschen verrucht anfühlen. Aber diese Nähe hat klare Grenzen und wer diese Grenzen nicht wahrt, gehört nicht auf die Tanzfläche. Basta. Wenn Du Dich mit einem Tanzpartner (auch wenn es ein Tanzlehrer ist) diesbezüglich nicht wohlfühlst, sag es ihm – und wenn Du die Chance dazu verpasst hast, sprich mit anderen Tangueras oder Deiner Tanzlehrerin darüber, damit Du beim nächsten Mal direkt reagieren kannst. Nur weil Du Anfängerin bist, musst Du nicht alles mit Dir machen lassen – auch nicht auf der Tanzfläche.
8. Don’t compete with others, just compete with yourself: Liebes jüngeres Tango-Selbst, Ehrgeiz ist gut, sich vergleichen und besser sein wollen als andere kann motivieren, aber es kann auch frustrieren und kann das Verhältnis zu Dir selbst und zu anderen vergiften. Deshalb: Stopp, hör einfach auf damit oder besser noch, fang gar nicht erst damit an.
9. Connection is key: Nicht nur im Tanz, sondern auch in der „Community“. Es sind wirklich spannende Menschen unterwegs in der Tangowelt – vor lauter Fokus auf tanzen, tanzen, tanzen, habe ich das erst spät wirklich entdeckt. Lerne sie kennen, sei offen für Kontakte, für andere Sichtweisen (auch in Bezug auf den Tango) und für einen Plausch hier und da. Das macht die Milonga zur freundlichen Zone und tut allen gut. Sei Dir dabei gewiss: Du musst nicht mit jedem tanzen, mit dem Du Dich unterhälst, und es wird auch nicht jeder mit Dir tanzen, der sich mit dir unterhält, na und?
10. Don’t take it too seriously: Vergiß nicht, es ist nur Tango, es ist Deine Freizeit, es ist Freude, es ist Spaß, es ist Leidenschaft, es ist Flirt, es ist Hobby, es ist Musik, es ist Leichtigkeit, es ist Kunst, es ist Kreativität, es ist Genuss, es ist Gefühl, es ist Tanz, es ist Lust, es ist Liebe, es ist Bewegung, es ist Körper, es ist echt, es ist jetzt, es ist hier – es ist alles und doch nichts.
Ich wünsche Dir viele schöne Tänze auf Deinem hoffentlich langen Tango-Weg,
Dein älteres Tango-Selbst
Allen Leser*innen, die sich gar nicht mehr so richtig an ihre Tangoanfänge erinnern können, sei dieser Artikel auf „Im Gegenteil!“, dem Berliner „Online-Magazin, das von Herzen kommt“, ans Herz gelegt.
Sehr schön geschrieben – volle Zustimmung.
Für mich hat das Tangoleben sehr viel Gemeinsamkeiten mit dem Erlernen eines Musikinstrumentes. Das Dranbleiben, der Anfang mit dem Erlernen der technischen Grundlagen, später die Interpretation, das Einbringen von Gefühlen, das Erarbeiten eines eigenen Stils. Die unterschiedlichen Lehrer für die verschiedenen Stufen, Das Erkennen der eigenen Vorlieben. Das Zusammenspiel mit anderen. Die sprunghafte Lernkurve mit dem Wechsel zwischen Frustration und Euphorie. und, und, und… Viele springen ab, manche sind zufrieden, wenn sie auf dem Geburtstag „Für Elise“ herunterklimpern können, andere wagen sich dann die Interpretation eines Chopin Walzers heran oder, weil es ihr Ding und ihre Vision ist, an die Improvisation im Jazz – oder an Tango.
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Der Inhalt ist okay…bei der Form muß ich leider einen nicht so positiven Feedback geben. Die Gender-Sternchen nerven – ich warte als Tauglichkeitstest noch immer auf Vorschläge, wie ein solcher Text vorgelesen werden sollte. Aber vielleicht weisen ja die Überschriften den Weg. Warum nicht den ganzen Text auf Englisch? Das höhere evolutionäre Niveau dieser Sprache zeigt sich schon darin, daß Gender-Gaga dort gar nicht notwendig ist.
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