Tango-Junkie

Dies ist ein Bekenntnis: Ich bin tangosüchtig. Nicht nur, dass ich fast meine gesamte Freizeit mit Tango verbringe und mir ehrgeizige Ziele nicht mehr im Beruf oder im Sport, sondern im Tango stecke. Nein, es gibt noch deutlichere Anzeichen meiner Sucht: Ich vernachlässige elementare Grundbedürfnisse, wie Schlaf oder Essen, zugunsten des Tangos. Wie meine Wohnung aussieht, will ich gar nicht beschreiben, aber ich verbringe dort sowieso kaum Zeit mehr. Vielleicht sollte ich umziehen in ein kleines Zimmer, dann hätte ich mehr Geld für Tangounterricht, Tangoreisen, Kleider und natürlich Schuhe übrig. Denn Tango ist teuer, wie alle Suchtmittel.
Wenn ich mal nicht tanzen kann, schaue ich YouTube-Videos von Auftritten oder höre Tangomusik. Auch wenn ich ganz normal auf der Straße laufe, übe ich Verzierungen oder feile an meiner Geh-Technik. Ich frage mich, ob es wohl sehr komische Reaktionen hervorruft, wenn ich zukünftig einen Teil meiner Wege einfach rückwärts gehe, wie im Tango eben.

Ich bin ein echter Tango-Junkie, süchtig nach den Umarmungen, in die man bzw. frau einfach hineinsinken kann, der betörenden Musik, der besonderen Atmosphäre auf den Milongas, der akribischen Arbeit am eigenen Tanz und sicher auch dem Oxytocin. Doch das hat große Auswirkungen auf mein Sozialleben: Vor kurzem fragte mich eine Freundin, ob wir zusammen ein Wellnesswochenende auf dem Land verbringen. Ich merkte sofort, wie sich mein Magen zusammenkrampfte und meine Mund trocken wurde. Entzugserscheinungen schon allein bei dem Gedanken: Ein Wochenende ohne Tango, wie soll ich das überstehen?
Sucht macht erfinderisch: Als meine Eltern vor einer Weile zu Besuch waren, habe ich sie einfach mitgeschleppt zur Milonga. „Hey, ihr wollt doch sicher mal sehen, womit ich so viel Zeit verbringe. Man kann da auch ganz nett sitzen und einfach was trinken.“ Puh, der Abend war gerettet.
Überhaupt merke ich, dass ich immer neue Ausflüchte suche, wenn ich meinen Nicht-Tango-Freunden mal wieder absage. Es ist mir peinlich, als Grund immer den Tango zu nennen. Außerdem würde das meine Sucht offenlegen und wie alle Süchtigen, will ich nicht, dass irgendjemand bemerkt, wie es um mich steht. Wenn ich dann doch – um den Schein zu wahren – mal zu einer Feier ganz ohne Tango gehe, esse ich wie ein Spatz, trinke keinen Alkohol und verschwinde früh, denn ich will ja noch tanzen.

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